Erich-Klaus Kirchner wurde im Juli 2006 vom Kreistag in die Funktion des Integrationsbeauftragten des Main-Kinzig-Kreises gewählt. Seit rund vier Jahren berät und betreut er nun ehrenamtlich hilfesuchende Migranten bei Sprachbarrieren, Integrationsproblemen oder Jobsuche. Im Eloquent– Interview sprach er mit uns über türkische Schulen, den Einbürgerungstest und die WM 2010.
Sehr geehrter Herr Kirchner, wir befinden uns mitten in der Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika. 32 Nationen aus der ganzen Welt, kämpfen, wetteifern, spielen, jubeln und feiern gemeinsam um einen der begehrtesten Sporttitel – FIFA Meister. Sehen Sie Fußball bzw. Sport als eine potenzielle Chance zur Integration?
Das sehe ich genauso. Fußball ist eine der wichtigsten Sportarten, die zur Integration von ausländischen Jugendlichen und Erwachsenen in die deutsche Gesellschaft beiträgt. Dies sehen wir an den einzelnen Sportverbänden. Betrachtet man beispielsweise den Fußballverein Hanau, so findet man Sportler unterschiedlichster Nationalitäten die sich zusammen aktiv einbringen. Von ihnen wird Teamarbeit gefordert, jeder einzelne Spieler kämpft nicht für sich selbst sondern für seine Mannschaft. Und dieses Zusammenhaltsgefühl wirkt sich natürlich sehr positiv auf Integration aus. Bisher wurden zudem weder Auseinandersetzung oder Diskriminierungs- Fälle an mich herangetragen.
Wie würden sie den Begriff Integration aus ihrer Sicht erklären? Geht Integration vom Land von de Bürgern aus? Sowohl als auch. Integration ist die Aufgabe der Politik, der deutschen Bevölkerung sowie der Migranten. Auf Seiten der Bundes- sowie Landesregierung wurden in den letzten Jahren viele bedeutende Reformen im Bereich der Integrationspolitik durchgesetzt. Integration wird als sehr wichtig erachtet. So wurden im Jahre 2007 Integrationskonferenzen eingeführt, in denen spezielle Pläne zur Ermöglichung einer besseren Eingliederung von Migranten in die deutsche Gesellschaft entworfen werden. Zu einer optimierten Integration gehört in erster Linie die Bildung. Nach Umfragewerten stellte man fest, dass mindesten 30 Prozent aller Hauptschüler mit Migrationshintergrund den Schulabschluss nicht bestehen und anschließend ohne eine abgeschlossene Ausbildung in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Wichtigstes Ziel der deutschen sowie hessischen Integrationspolitik ist es daher, diese Bildungsrückstände der Ausländer zu beheben. Als Mittel dafür setzte das Kultusministerium Hessen im Januar 2010 sogenannte „Bildungslotsen“ ein. Das heißt, Jugendliche deren schulische Leistungen ihre Versetzung beziehungsweise ihren Abschluss gefährden, erhalten Hilfe von einem Bildungslotsen, der sie sowie im Lern-Bereich als auch im außerschulischen Bereich berät und unterstützt. Desgleichen gründete der Main-Kinzig-Kreis die „Bildungspartner GmbH“. Hochschulen im MKK, ausgenommen die Hochschule Hanau, bieten seit kurzem kostenlose oder sehr kostengünstige Sprachkurse für Ausländer an.
Das Angebot wird bislang gut aufgenommen. Nicht nur Schüler und Jugendliche melden sich, auch Ältere zeigen vermehrt Interesse. Sprache ist die Wurzel und wichtigste Voraussetzung für eine gelungene Integration. Nur wer die deutsche Sprache beherrscht, ist in der Lage, aktives Mitglied der deutschen Gesellschaft zu werden. Wichtig ist es weiterhin die Nachbarschaften vielfältig zu gestalten und Gettoisierungen zu vermeiden. Die Gemeinden achten nun zunehmend darauf, dass in einzelnen Gebäudekomplexen eine gemischte Wohnbevölkerung mit verschiedenen Nationalitäten entsteht. Auch wird den Jugendlichen nahe gelegt, sich ehrenamtlich zu engagieren und in Vereinen mitzuwirken. Die Grundlagen für eine gelungene Integration sind somit vorhanden, jedoch können sie noch weiter ausgebaut werden.
Hat sich die Integration in den letzten 5 Jahren verbessert? Durchaus. Die lokalen Ausländerbehörden konnten in den letzten Jahren nicht nur positive Ansätze sondern gar bedeutende Entwicklungen vermerken. Der Integrationsprozess ist fortgeschritten und besonders Frauen profitieren von den neuen Reformen. Während diese früher oft weder orts- noch sprachkundig und von ihren Ehemännern abhängig waren, können sie sich heute leichter emanzipieren und Kontakte knüpfen.
Seit dem 1. September 2008 müssen Ausländer in Deutschland zur Einbürgerung einen bundeseinheitlichen Einbürgerungstest bestehen. Handelt es sich dabei um eine integrationsfördernde Maßnahme oder lediglich um eine unfaire Wissensabfrage? Meines Erachtens wirkt sich der Einbürgerungstest integrationsfördernd aus. Wer in der Bundesrepublik leben und die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten möchte, muss mit den kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und auch sprachlichen Eigenschaften des Landes vertraut sein. Früher wurden viele Ausländer eingebürgert, die keinerlei Deutsch- oder Deutschland-Kenntnisse aufweisen konnten. Das kann man nicht als Integration bezeichnen. Sie hatten zwar einen deutschen Pass, waren aber nicht in der Lage sich in unsere Gemeinden, eben auf Grund mangelnden Wissens, einzugliedern. Auch die Anfänglichen Kritiken und Diskussionen sind bereits verflogen und der Einbürgerungstest ist allgemein positiv angenommen worden. Zudem sind die Fragen nicht zu anspruchsvoll und dies beweist auch die Statistik. So wurde ein Jahr nach Einführung des Wissenstests mitgeteilt, dass 98 Prozent der Prüflinge den Test im ersten Anlauf bestehen.
Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdoğan hat die Einrichtung türkischer Gymnasien in Deutschland vorgeschlagen. Wie bewerten Sie diesen Vorschlag? Türkischsprachige Schulen kann ich nicht gutheißen. Wer in Deutschland leben möchte, sollte eine deutsche Schule besuchen und sich mit seinen deutschstämmigen Mitschülern zusammenschließen. Türkische Schulen wirken sich eher integrationshemmend aus und fördern nicht das tolerante Miteinander. In solchen Institutionen erfahren die Schüler nichts über die Sprache oder Kultur des Landes. Die Ausübung von heimatlicher Religion, Kultur oder Sprache ist in Familie und Freundeskreis legitim, doch das Bildungssystem sollte dabei außen vor gelassen werden. Wer in Deutschland leben möchte muss sich der deutschen Sprache und Kultur bewusst sein, und diese können die Kinder eben nur in einer deutschen Schule lernen.
Ist Integration deutschsprachiger muslimischer Religionsunterricht? Dabei handelt es sich im wahrsten Sinne des Wortes um Integration. Dennoch sind auch in diesem Bereich Verbesserungen notwendig. Die Imame, die zurzeit in Deutschland tätig sind, haben ihre Ausbildung in der Türkei absolviert und besitzen oft selbst nur wenige Kenntnisse über die Bundesrepublik. Diese Imamausbildung muss in Zukunft in der Bundesrepublik geschehen. Vor zwei Monaten fand eine solche bereits erfolgreich in Frankfurt statt. Nur so können die Imame die Hintergründe des Landes lernen und dementsprechend ihren Unterricht gestalten. Die Bundesrepublik hat nichts gegen die muslimische Religion an sich, sondern sie fordert lediglich eine Zusammenarbeit mit dem Grundgesetz als Basis.
Wird in Deutschland über Integration debattiert, ist man immer ganz schnell bei Muslimen. Sind sie denn wirklich so große Integrationsverweigerer? Es sind oft Muslime, die Schwierigkeiten haben sich zu integrieren. Das hängt größtenteils auch mit ihrer Religion zusammen. Nach dem Unterricht an der deutschen Schule besuchen etliche muslimische Religionsschulen. Um dies zu verhindern könnte wiederum der muslimische Religionsunterricht an allen Schulen als Lösung dienen. So könnte gewährleistet werden, dass die Lehrinhalte die Grundzüge der Demokratie nicht gefährden. Und nur so kann auch verhindert werden, dass die Jugendlichen in einer Parallelgesellschaft aufwachsen.
Inwiefern beeinflusst das drei-gliedrige Schulsystem die Integration von Jugendlichen?
Die Anzahl der Schüler mit Migrationshintergrund an Gymnasien ist bislang leider sehr gering. Dies ist nicht allein der Schulform sondern auch der Einstellung der Eltern zuzuschreiben. Viele sind der Überzeugung, ihre Kinder dürften keinen höheren Bildungsgrad erhalten, als sie ihn haben und fördern sie daher nicht. Solchem kann nur durch Aufklärung entgegengewirkt werden. Denn ein zwanghaftes Umdenken ist nicht möglich.
In wie fern beeinflussen terroristische Anschläge, die im Namen des Dschiad am 11. September 2001 in New York aber auch in Europa seine blutigen Spuren hinterlassen hat, das Bild eines Immigranten? Verstärken diese radikalen Ausschreitungen Vorurteile und Intoleranz? Ja, das denke ich. Seit dem 11. September 2001 fand in Deutschland und auf der ganzen Welt ein Umdenken statt. Die Menschen wurden skeptischer und vorsichtiger. Auch wenn die Gefahr in der Bundesrepublik bislang nicht sehr groß war, ist sie dennoch gegeben. Denkt man allein an die Sauerlandgruppe, die 2007 terroristische Attentate auf amerikanische Militäranlagen plante, erkennt man, dass auch Deutschland im Visier der Terrororganisationen steht. Deshalb ist Aufmerksamkeit und Sorgfalt gefragt. Doch man sollte sich stets bewusst sein, dass die Vertreter des Dschiads nur eine starke Minderheit innerhalb der muslimischen Glaubensgemeinschaft darstellen. Der größte Teil ist friedlich eingestellt und durchaus integrationswillig.
Bei unser Schul internen Umfrage, definierten mehrere Schüler den Begriff mit der EU-Mitgliedschaft der Türkei. Haben solche politische Entscheidungen tatsächlich etwas mit toleranten und offenen Menschenverstand zu tun? Das wäre keine Form von Integration oder Toleranz, sondern zeuge lediglich von politischer Unverantwortlichkeit. Einen toleranten und offenen Menschenverstand kann man nicht durch eine EU-Mitgliedschaft erreichen. Die Türkei ist bisher noch nicht reif für die EU, weder im politischen noch im wirtschaftlichen Sektor. Wesentliche demokratische Gesetze wurden in der Türkei nicht umgesetzt. Bislang herrscht dort keine Religionsfreiheit, Anhänger des christlichen Glaubens werden teilweise verfolgt. Des Weiteren sind die Konflikte um Kurdistan oder Zypern noch nicht gelöst und auch im Bereich der Sozialpolitik stehen die Türken der EU in einigem nach. Es gibt weder Sozialversicherungen noch Arbeitslosengeld. Das sind alles sehr große Problematiken, die engere politische Verbindungen mit der EU verhindern. Eine privilegierte Partnerschaft ist erwünscht, aber eine türkische Mitgliedschaft der Europäischen Union wird in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren wohl nicht zu Stande kommen.
Zu einer gelungenen Integration gehören immer zwei Seiten. Wie steht es denn mit dem Integrationswillen von in Deutschland immigrierenden Ausländer? Was tun wenn Migranten nicht immigrieren wollen? Das ist eine schwierige Angelegenheit. Die meisten Immigranten lassen und wollen sich integrieren. Natürlich gibt es vereinzelt Ausländer, besonders muslimische Männer, die sich den freiheitlichen Grundlagen der Bundesrepublik nicht anpassen und ihre Frauen von der Gesellschaft isolieren. Ein ähnliches Phänomen ist aber auch unter deutschen Männern, die ausländische Frauen geheiratet haben und anschließend bevormunden, verbreitet. Frauen dürfen sich dann oft keine Arbeitsstelle suchen oder Kontakte knüpfen, sondern lediglich den Haushalt führen. Auch während meinen Sprechzeiten wurden mir ähnliche Probleme anvertraut. Leider steht es in solchen Fällen nicht in meiner Macht zu helfen. Es handelt sich hierbei um familiäre Auseinandersetzung.
Sie sind Integrationsbeauftragter für den Main Kinzig Kreis, erläutern Sie uns bitte kurz ihre Aufgaben? Ich habe lediglich eine beratende Funktion. Zu konkreten Eingriffen bin ich als ehrenamtlicher Mitarbeiter des MKK nicht befugt. Die hauptamtlichen Institutionen wie das Integrationsbüro können den Immigranten direkte Hilfeleistungen anbieten. Somit bin ich der erste Ansprechpartner und leite die Ausländer gegebenenfalls an besagte Einrichtungen weiter
Hannah Lena Schmidt, Natalia Kubesch
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